Russlands Angriffskrieg hat eine Fluchtbewegung ausgelöst. Allein in der Stadt Regensburg leben inzwischen mehr als 2800 Ukrainer*innen. Wie ergeht es ihnen hier? Eine Umfrage gibt Antworten.

Am 24. Februar 2022 startete Russland seine massive Invasion in die Ukraine; seither haben mehrere Millionen Ukrainer*innen das Land verlassen. Die Gesamtzahl der in Europa1 registrierten Geflüchteten, beläuft sich zum Februar 2023 laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR auf 8.054.405 Personen.2 Die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine, die für einen vorübergehenden Schutz oder ähnliche nationale Schutzprogramme in Europa3 registriert sind, beträgt 4.830.738 (Stand: 7. Februar 2023).2 Auch Deutschland verzeichnet seit Kriegsbeginn einen starken Zuzug ukrainischer Staatsbürger*innen. Inzwischen leben etwa sieben Mal mehr Ukrainer*innen hier als Ende Februar 2022.4 Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) waren zum Stichtag 7. Februar 2023 insgesamt 1.062.048 Personen im Ausländerzentralregister (AZR) erfasst, die im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine seit 24. Februar 2022 nach Deutschland gekommen sind. Es wird angenommen, dass eine geringe Zahl Geflüchteter bereits in andere EU-Staaten weitergereist oder in die Ukraine zurückgekehrt ist. Etwa ein Drittel sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, etwa 70 Prozent der erwachsenen Geflüchteten (18 Jahre und älter) sind Frauen (für Männer im wehrfähigen Alter ist die Ausreise aus der Ukraine nur in Ausnahmefällen erlaubt).5

In der Stadt Regensburg waren zum 31. Dezember 2022 insgesamt 2.841 Ukrainer*innen registriert, darunter 1.851 Personen weiblichen und 990 Personen männlichen Geschlechts.6 Auch hier zeigt sich ein ähnliches Bild wie für Deutschland insgesamt: 27 Prozent der Geflüchteten sind Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre, 72 Prozent der Geflüchteten sind Frauen im Erwachsenenalter (18 Jahre und älter).

Noch ein Jahr zuvor, zum Stichtag 31. Dezember 2021, lebten gerade einmal 710 Ukrainer*innen in der Donaustadt.7 Inzwischen stellen sie hier die zahlenmäßig größte Gruppe ausländischer Staatsbürger*innen dar, gefolgt von Rumän*innen mit 2.594 und Bulgar*innen mit 2.189 Personen (Stand: 31. Dezember 2022).8

Umfrage unter geflüchteten Ukrainer*innen am IOS

Um herauszufinden, wie es den geflüchteten Ukrainer*innen in Regensburg (Stadt und Landkreis) ergeht, hat das Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) in Regensburg zwischen 11. August und 15. Oktober 2022 eine anonyme, quantitative Online-Umfrage durchgeführt.9 Die Erhebung beinhaltete 50 Fragen, die darauf ausgerichtet waren, mehr über die Beweggründe für die Flucht aus der Ukraine und die Wahl Regensburgs als Zielort, die Umstände der Ankunft, die sozialen Hintergründe der Befragten sowie ihre aktuellen Lebens- und Arbeitsumstände zu erfahren. Nicht alle Fragen mussten beantwortet werden. In den meisten Fällen waren Antworten zum Auswählen bzw. Gewichten vorgegeben, bei einigen wenigen Fragen bestand die Möglichkeit, freie Antworten zu formulieren.

Insgesamt haben 49 Personen an der Umfrage teilgenommen. Davon waren 46 Personen weiblichen und nur 3 Personen männlichen Geschlechts. Die jüngsten Befragten waren 19, die ältesten 56 Jahre alt. Das Durchschnittsalter betrug etwa 36 Jahre. Die Umfrage fügte sich ein in die umfangreichen wissenschaftlichen Aktivitäten des IOS zur Ukraine10 sowie das von der EU im Rahmen des Interreg Danube Transnational Programmes geförderte Projekt TalentMagnet11, in dessen Rahmen sich das IOS mit Migrationsbewegungen im Donauraum beschäftigte.

Ankunft und Integration in Regensburg

Die Mehrheit der Umfrageteilnehmer*innen stammt aus den Großstädten Kyjiw, Odesa und Charkiw, lebt heute in der Stadt Regensburg und ist zusammen mit Kindern und anderen Verwandten hierhergekommen. (Bei Odesa sei angemerkt, dass es sich um eine Partnerstadt der Stadt Regensburg handelt.)

Krieg und Gewalt sowie die Angst um das eigene Leben waren für mehr als 90 Prozent der Befragten der Hauptgrund für die Flucht. Ökonomische Erwägungen, welche die Migrationsentscheidungen von Menschen aus Ost- und Südosteuropa normalerweise maßgeblich beeinflussen, spielten unter den Geflüchteten aus der Ukraine eine weit weniger wichtige Rolle.

Ausschlaggebend für ihre Wahl Regensburgs als Zufluchtsort waren in erster Linie soziale Gründe, verbunden mit dem Gefühl, hier willkommen zu sein und in Sicherheit leben zu können. Viele hat es aber auch aus Zufall nach Regensburg verschlagen.

Knapp die Hälfte der Befragten hatte vor der Flucht aus der Ukraine Kontakte zu Familienangehörigen, Freund*innen oder Bekannten, die bereits in Regensburg leben.

Die Mehrheit der Umfrageteilnehmer*innen hatte zum Zeitpunkt der Befragung schon ihre Fiktionsbescheinigung und auch finanzielle Unterstützung erhalten.

Erfreulich ist der Umstand, dass viele der geflüchteten Ukrainer*innen im Zuge ihrer Ankunft in Regensburg auf breite Hilfe bauen konnten. Nichtsdestotrotz scheinen die Angebote nicht immer ausreichend gewesen zu sein, etwa im Hinblick auf das Erlernen der deutschen Sprache, der Arbeits- und Wohnungssuche sowie der Suche nach Schulen und Kindergärten.

Arbeit in Regensburg

Da der Großteil der Befragten keine oder nur geringe Deutschkenntnisse hat und zum Zeitpunkt der Erhebung noch keinen Sprachkurs besuchte, besteht in diesem Bereich dringender Nachholbedarf. Dies ist vor allem im Hinblick auf ihre Integration in den deutschen Arbeitsmarkt und den hiesigen Fachkräftemangel von Bedeutung12 – nicht zuletzt deshalb, weil die Mehrheit der Geflüchteten aus der Ukraine sehr gut ausgebildet ist, über Hochschulabschlüsse verfügt und in ihrer Heimat nicht selten in leitenden Funktionen tätig gewesen ist.

 

Zwei Drittel der Befragten hatten zum Zeitpunkt der Erhebung jedoch noch keine Arbeit in Regensburg gefunden.

Diejenigen, die bereits eine Arbeit aufgenommen hatten, zeigten sich überwiegend zufrieden mit ihrer Arbeit und ihren Arbeitsbedingungen.

Von denjenigen, die in Regensburg noch keine Arbeit gefunden hatten, haben fast alle die Absicht, künftig eine Arbeit aufzunehmen.

Leben in Regensburg

Die Mehrheit der Umfrageteilnehmer*innen zeigte sich mit ihrem Leben in Regensburg zwar überwiegend zufrieden und schätzt ihre Lebensbedingungen als gut bis sehr gut ein. Verbesserungsbedarf sieht sie aber in den Bereichen Gesundheit, Wohnung, Bildungs- und Arbeitsmarkt sowie Verwaltung. Ursächlich hierfür sind vor allem der Mangel an Deutschkursen und den damit verbundenen Verständigungsproblemen, preiswertem Wohnraum sowie fehlenden E-Services bei Behördengängen. Nicht wenige Personen haben zudem angegeben, dass die Freizeit- und Bildungsangebote für Kinder ausgebaut werden sollten. Wie wir überdies aus persönlichen Gesprächen mit Geflüchteten aus der Ukraine in Erfahrung bringen konnten, zeigen sich viele enttäuscht über das deutsche Gesundheitssystem. Unverständnis ruft vor allem hervor, dass Termine bei Fachärzt*innen oft nur nach einer Wartezeit von mehreren Wochen oder gar Monaten wahrgenommen werden können und dass manche Ärzt*innen grundsätzlich keine neuen Patient*innen annehmen. Des Weiteren ist es für viele Ukrainer*innen überraschend, dass Medikamente oft nur gegen Rezept erhältlich sind. An dieser Stelle sei jedoch angemerkt, dass Deutschland ein vergleichsweise strenges Arzneimittelgesetz hat, aufgrund dessen viele Medikamente verschreibungspflichtig sind, insbesondere jene, deren Anwendung einer (zahn-)ärztlichen Überwachung bedarf. In der Ukraine dagegen waren Präparate wie Metamizol, ein starkes Schmerzmittel, zumindest vor Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 frei erhältlich.

Im direkten Vergleich zwischen dem Leben in Regensburg und ihren Herkunftsorten in der Ukraine offenbart sich ein differenzierteres Bild. So sind etwa 45 Prozent der Befragten der Ansicht, dass ihre Lebensbedingungen in Regensburg schlechter sind als in der Ukraine.

Dass die Befragten zu dieser Bewertung gelangen, ist vor dem Hintergrund der traumatischen Kriegserfahrungen, des Verlusts der Heimat, des Zurücklassens von Familienangehörigen und Freund*innen sowie dem dort aufgebauten Leben zu sehen. Zudem haben sich viele Ukrainer*innen seit der Unabhängigkeit des Landes 1991 einen bescheidenen Wohlstand geschaffen, der mit dem der deutschen Mittelschicht durchaus vergleichbar, mitunter sogar höher ist. Die Umfrageteilnehmer*innen haben folgende Erklärungen hierzu abgegeben:

„In der Ukraine haben wir ein Haus und ein Auto, in Regensburg wohnen wir in einer kleinen Wohnung, aber wir sind in Sicherheit.“

„Ich habe mir in den letzten 20 Jahren ein komfortables Leben in Charkiw aufgebaut und muss nun, mit 51 Jahren, neu anfangen.“

„Ich habe [in der Ukraine – K.B.] eine eigene Wohnung im Stadtzentrum, hier ist alles anders.“

„[In der Ukraine] haben wir in einer Großstadt gewohnt, in einer größeren Wohnung, mit besserer Ausstattung und Infrastruktur.“

„Odesa ist eine Großstadt, bestimmte Angebote und Services sind besser, zum Beispiel Essenslieferungen, Restaurants, Konzerte, Kosmetikangebote, Friseure, Einrichtungen für Kinder.“

Des Weiteren erleben es viele Geflüchtete als demütigend, von anderen (finanziell) abhängig zu sein und bei Behörden und Privatpersonen um verschiedenste Unterstützungsleistungen bitten zu müssen. Gleichwohl betonten die Teilnehmer*innen der Erhebung auf die Frage, was ihnen in Regensburg besonders gefalle, am häufigsten die Gastfreundschaft, Offenheit, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der hiesigen Bevölkerung. Dieses Paradoxon hat auch die rezente Forschung zu Flucht und Zwangsmigration ausgemacht und dabei festgestellt, dass humanitäre Hilfe zu Beginn zwar notwendig ist, jedoch nur eine vorübergehende Lösung darstellen sollte, weil sie Geflüchteten dauerhaft nicht hilft, sich anderswo anzusiedeln, sondern es ihnen im Gegenteil sogar erschwert, sich ein neues Leben aufzubauen.13

Was Regensburg künftig verbessern kann

Auf die Frage, was Regensburg tun kann, um die Situation von Geflüchteten und anderen Migrant*innen in der Stadt zu verbessern, antworteten die meisten, dass sie sich hochwertige Stellenangebote, mehr Möglichkeiten für berufliche und persönliche Weiterentwicklung, mehr und preiswerteren Wohnraum sowie verbesserte Mobilitätsangebote wünschen.

Auf die Frage, was ihnen in Regensburg nicht gefällt, gaben die meisten an, dass der ÖPNV zu teuer sei und Verbindungen ins Umland fehlten. Darüber hinaus kritisierten sie den Mangel an Wohnraum, das hohe Maß an Bürokratie bei Behördengängen und die wenig fortgeschrittene Digitalisierung sowie fehlende Freizeitangebote für Kinder. Einige störte zudem der offene Umgang mit Alkohol und Tabak in der Öffentlichkeit, insbesondere auf Spiel- und Sportplätzen. Hierzu muss man wissen, dass der Konsum von Alkohol und Tabak auf öffentlichen Plätzen in der Ukraine seit mehreren Jahren verboten ist.14

Positiv bewerteten die Geflüchteten die schöne Altstadt, die Parks und Grünlagen, die Maßnahmen zum Umweltschutz sowie die Sicherheit und Sauberkeit der Stadt.

Unschlüssig sind die Befragten im Hinblick auf ihre Aufenthaltsdauer. Auffallend ist dabei, dass die wenigsten, gerade einmal elf Prozent, dauerhaft in Regensburg bleiben möchten. Fast 90 Prozent der Geflüchteten dagegen wollen die Stadt in den nächsten fünf Jahren oder mit Kriegsende wieder verlassen. Inwieweit sich diese Absichten erfüllen werden, bleibt abzuwarten. Sicher ist aber, dass mit fortschreitender Kriegsdauer und damit auch zunehmender Integration mehr Menschen längerfristig in Regensburg bleiben werden. Die Stadt sollte deshalb dafür Sorge tragen, dass die Geflüchteten aus der Ukraine gut in die Gesellschaft, den Arbeitsmarkt, das Bildungs- und Gesundheitssystem eingebunden werden.


Bild: IMAGO / NurPhoto

  1. [1] „Europa“ meint gemäß der Definition der UNHCR alle europäischen Teilregionen und umfasst somit EU- und Nicht-EU-Länder, die zu Mittel- und Osteuropa, Nordeuropa, Südeuropa und Westeuropa gehören, sowie die Türkei (https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine []
  2. https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine [] []
  3. Die Angabe „Flüchtlinge aus der Ukraine, die für einen vorübergehenden Schutz oder ähnliche nationale Schutzprogramme in Europa“ registriert sind, inkludiert Mehrfachregistrierungen derselben Person in zwei oder mehr EU+-Ländern, außerdem Registrierungen, die aus verschiedenen Gründen unvollständig bleiben sowie Registrierungen von Flüchtlingen, die weitergereist sind, auch über Europa hinaus (ebd.). []
  4. https://www.destatis.de/DE/Im-Fokus/Ukraine/Gesellschaft/_inhalt.html []
  5. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2022/10/ukraine-zahlen.html []
  6. BAMF, Referat 72B, AZR-Statistik zum 31.12.2022, STV Regensburg. Ich danke an dieser Stelle dem Amt für Migration und Integration der Stadt Regensburg, das mir die Daten freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Die Daten inkludieren auch Geflüchtete, die weitergereist oder in die Ukraine zurückgekehrt sind. []
  7. Statistisches Bundesamt (Destatis), 2022 | Letzter Zugriff: 03.06.2022 / 12:19:50. []
  8. BAMF, Referat 72B, AZR-Statistik zum 31.12.2022, STV Regensburg. []
  9. Ähnliche Umfragen wurden bundesweit zuletzt vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung durchgeführt. Siehe Brücker, Herbert et al. (2023): Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland: Ergebnisse der ersten Welle der IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP Befragung. (IAB-Forschungsbericht 02/2023), Nürnberg, 136 S. (online unter: https://doku.iab.de/forschungsbericht/2023/fb0223.pdf) sowie Brücker, Herbert et al. (2022): Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland. Flucht, Ankunft und Leben. (IAB-Forschungsbericht 24/2022), Nürnberg, 26 S. (online unter: https://doku.iab.de/forschungsbericht/2022/fb2422.pdf). []
  10. Siehe beispielsweise die am IOS angesiedelte „Arbeitsgruppe Ukraine“ (https://leibniz-ios.de/forschung/interdisziplinaere-arbeitsgruppe-ukraine-am-ios), den „Schwerpunkt Ukraine“ (https://leibniz-ios.de/wissen-vermitteln/schwerpunkt-ukraine) sowie das Ostblog Spezial „Russlands Krieg gegen die Ukraine“ (https://ukraine2022.ios-regensburg.de/). []
  11. Für Informationen zum Interreg Danube Transnational Programme TalentMagnet siehe https://www.interreg-danube.eu/approved-projects/talentmagnet []
  12. https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/ukrainerinnen-und-ukrainer-daempfen-deutschen-fachkraeftemangel-86000-haben-schon-einen-job-a-7bc5fc95-289f-4262-a389-dc4ba9c34db4 []
  13. Siehe beispielsweise Dunn, Elizabeth Cullen (2016): Refugee Protection and Resettlement Problems. In: Science, 352(6287), 772f. []
  14. Verchovna Rada Ukrajiny (1995): Gesetz „Über die staatliche Regulierung der Herstellung und des Vertriebs von Ethyl-, Cognac- und Fruchtalkohol, alkoholischen Getränken, Tabakwaren, Flüssigkeiten für elektronische Zigaretten und Kraftstoff (online unter: https://zakon.rada.gov.ua/laws/show/481/95-%D0%B2%D1%80#Text). []