Die tiefe Entfremdung zwischen der Ukraine und Russland zeigt sich auch in Straßennamen und Denkmälern – und hat wie die jüngste militärische Eskalation eine längere Vorgeschichte.

Die Umgestaltung städtischer Räume ist für die Ukraine nichts Neues. In den vergangenen 30 Jahren hat es solche Veränderungen drei Mal gegeben: zuerst in den 1990er Jahren, dann 2014–2016, und jetzt ist dies die dritte Phase. Bevor wir uns dem aktuellen Wandel zuwenden, sollten wir zunächst einen Blick auf die Veränderungen der letzten Jahre werfen.

Straßennamen und Denkmäler, also die toponymische und memoriale Landschaft der ukrainischen Städte, entstanden überwiegend in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals bildete die UdSSR ihren eigenen Gedenkkult um Ereignisse und Persönlichkeiten heraus, an die in den sowjetischen Städten erinnert werden sollte. Im Zuge der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991 stellte sich die Frage, wie und ob die Stadträume entsprechend der neuen politischen Situation verändert werden sollten. Dies erfolgte in den ersten Jahren der Unabhängigkeit dann nicht systematisch und war durch keine Gesetze auf staatlicher Ebene geregelt. Infolgedessen fanden Umbenennungen ausschließlich aus lokalem Antrieb statt. Der regionale Unterschied in diesem Prozess war auffallend, da es die meisten Umbenennungen und Abrisse von sowjetischen Denkmälern in den Städten der Westukraine gab, während dieser Prozess in der Zentralukraine weniger und in der Südostukraine fast gar nicht stattfand. Ein beeindruckendes Beispiel war die westukrainische Stadt Ternopil. Dort wurden in den Jahren 1990–1991 insgesamt 143 Namen von Straßen, Plätzen, Parks, Einrichtungen und Institutionen umbenannt.[1] In der zentralukrainischen Stadt Winnyzja, die mehr Einwohner hat als Ternopil, gab es in den Jahren 1992–1996 hingegen nur 13 derartige Umbenennungen.[2] In dieser Zeit wurden die zentralen Straßen in der Stadt umbenannt, die nach kommunistischen Ideologen, wichtigen sowjetischen Persönlichkeiten und Symbolen benannt gewesen waren. In der südöstlichen Stadt Saporischschja zum Beispiel gab es in den 1990er Jahren überhaupt keine derartigen Veränderungen.

Nach der „Revolution der Würde“ 2013/14, der Annexion der Krim durch Russland und dem Beginn der russischen bewaffneten Aggression im Donbas kam es 2015–2016 zu systemischen Veränderungen. Der Prozess der Umbenennung wurde nun normativ geregelt: 2015 beschloss das Parlament das Gesetz „Über die Verurteilung kommunistischer und nationalsozialistischer (nazistischer) totalitärer Regime in der Ukraine und das Verbot der Propaganda ihrer Symbole“[3], das zu einem der vier sogenannten Entkommunisierungsgesetze wurde. Es legte Kriterien fest, nach denen die lokalen Behörden Straßen umbenennen und Denkmäler abreißen müssen, die bestimmten Ereignissen oder Persönlichkeiten gewidmet sind. Der Teil über die „Verurteilung des totalitären nationalsozialistischen Regimes“ war eher symbolisch, da dieses Gesetz in erster Linie auf die Umbenennung von Straßen und den Abriss von Denkmälern für Ereignisse und Persönlichkeiten abzielte, die mit der Errichtung der Sowjetmacht in der Ukraine in Verbindung gebracht wurden oder die hohe Positionen in sowjetischen Behörden innehatten. Auch dieser Prozess wurde nicht gänzlich von oben initiiert, denn bereits vor der Verabschiedung des Gesetzes war es 2014 in ukrainischen Städten zum sogenannten „Leninopad“ [„Lenin-Stürze“] gekommen, wobei Bürgerinnen und Bürger oder Stadtverwaltungen Lenin-Denkmäler abrissen, die zu Sowjetzeiten ein obligatorisches Merkmal jeder ukrainischen Stadt und jedes Dorfes gewesen waren. Der Einfluss dieses Gesetzes auf die Toponymie der Ukraine war enorm, denn dank ihm kam es zu einer groß angelegten Umbenennung von Straßen, und es gelang auch, viele Denkmäler sowjetischer Persönlichkeiten abzureißen, insbesondere alle Lenin-Denkmäler. Aber auch dieses Gesetz beließ Spielraum. Beispielsweise fielen Namen und Denkmäler, die dem Zweiten Weltkrieg gewidmet waren, nicht unter die Entkommunisierungsgesetze, so dass die lokalen Behörden selbst entscheiden konnten, was mit ihnen geschehen sollte.

Nach Beginn der umfassenden russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 sahen sich die ukrainischen Städte mit dem Problem konfrontiert, dass trotz der großen Veränderungen seit 2014 viele Straßennamen und Denkmäler nicht nur mit der Sowjetära, sondern auch mit der Zeit des Russischen Reiches verbunden sind. Andere beziehen sich auf russische Städte und die Freundschaft zwischen Russland und der Ukraine. Für viele Ukrainerinnen und Ukrainer ist das unerträglich, und Aktivistinnen und Aktivisten sowie Stadtverwaltungen machen sich an eine erneute Änderung der Namen und Denkmäler. Dieser Prozess verläuft ungeregelt, also nach dem Ermessen der lokalen Akteure.

Viele Namen und Denkmäler waren bereits vor dem umfassenden Angriffskrieg Russlands im Gespräch, aber erst jetzt wurden sie umbenannt bzw. demontiert. Eines der berühmten Denkmäler, dessen Anwesenheit im Zentrum von Kyjiw umstritten war, ist der 1982 errichtete Bogen der Völkerfreundschaft und die darunter befindlichen Skulpturenkompositionen. Ein Teil der Komposition bezieht sich auf das Perejaslawische Konzil von 1654, das der sowjetischen Propaganda zufolge die Vereinigung der Ukraine mit Russland symbolisierte. Der zweite Teil der Komposition bestand aus den Skulpturen eines Ukrainers und eines Russen, die ein Band mit dem Orden der Völkerfreundschaft in Händen hielten. Nach dem Ausbruch des russisch-ukrainischen Krieges im Donbas im Jahr 2014 entzündeten sich am Bogen und den Skulpturen am Hang des Dnipro bereits hitzige Diskussionen. Insbesondere der damalige Leiter des Ukrainischen Instituts für Nationales Gedenken, Wolodymyr Wjatrowytsch, sprach sich für den Abriss aus.[4] Darüber hinaus war der Bogen Schauplatz von Kunstveranstaltungen: Im Jahr 2017 wurde der Bogen anlässlich des Eurovision Song Contest in den Farben des Regenbogens gestrichen und erhielt den Namen „Bogen der Vielfalt“[5], und 2018 wurde der „Freundschaftsriss“ darauf gemalt, um ukrainische politische Gefangene zu unterstützen, die zu dieser Zeit in russischen Gefängnissen festgehalten wurden.[6] Kürzlich wurde eine endgültige Entscheidung über das Schicksal dieser Skulpturen getroffen: Am 26. April 2022 beschlossen die Kyjiwer Stadtbehörden, mit ihrem Abbau zu beginnen.

Die in der Ukraine stattfindenden Prozesse zur Veränderung des städtischen Raums waren und sind ein Zeichen für den Wandel, den das Land im Laufe der Jahre erfahren hat. Da dieser Prozess noch im Gange ist, ist es zu früh, um über Schlussfolgerungen zu sprechen, aber man kann schon jetzt mit Sicherheit sagen, dass die städtischen Räume der Ukraine infolge der „Entrussifizierung“ erhebliche Veränderungen erfahren werden.


[1] Pavlo Slyvka, “Za panuvannja radjanščyny Ternopilʹ vtratyv svoje istoryčne oblyččja,” Svoboda, 28.03.2020, https://svoboda.te.ua/za-panuvannya-radyanshhyny-ternopil-vtratyv-svoye-istorychne-oblychchya/.

[2] Olena Kovtonjuk, “Materialy do istoriji vulycʹ Vinnyci,” Solomonova T. (Hrsg.), Podilʹsʹka starovyna. Naukovyj zbirnyk : do 85-rìččja z času zasnuvannja Vinnicʹkoho oblasnoho krajeznavčoho muzeju (Vinnycja: Vinnycʹkyj oblasnyj krajeznavčyj muzej, 2003), 149-151.

[3] Siehe Verchovna Rada, „Pro zasudžennja komunistyčnoho ta nacional-socialistyčnoho (nacystsʹkoho) totalitarnych režymiv v Ukrajini ta zaboronu propahandy jichnʹoji symvoliky,“ https://zakon.rada.gov.ua/laws/show/317-19#Text.

[4] „Arka družby narodiv u Kyjevi mala by buty demontovana – Vjatrovyč,” 5 kanal, 22.01.2018, https://www.5.ua/polityka/arka-druzhby-narodiv-u-kyievi-mala-by-buty-demontovana-viatrovych-163513.html

[5] „Arku družby narodiv do Jevrobačennja peretvorjujutʹ na veselku,“  Ukrajinsʹka pravda, 25.04.2017, https://life.pravda.com.ua/society/2017/04/25/223843/

[6] „Arku Družby narodiv zlamaly na pidtrymku politvjazniv,“ Gazeta.ua, 24.11.2018, https://gazeta.ua/articles/kiev-life/_arku-druzhbi-narodiv-zlamali-na-pidtrimku-politvyazniv/871308