Das politische System Bosnien-Herzegowinas gilt als eines der kompliziertesten weltweit. Die Menschen im Land tragen nach wie vor die schwere Bürde des Kriegs von 1992–95 und finden mit Blick auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine (k)eine gemeinsame Stimme.

Wie reagiert das nach wie vor von den Folgen des Kriegs geprägte und ethnopolitisch gespaltene Bosnien-Herzegowina auf den von Russland in die Ukraine getragenen Krieg? Diese Frage stellt sich insbesondere vor dem Hintergrund, dass Bosnien-Herzegowina aktuell eine seiner größten politischen Krisen durchlebt. Die politische Situation in Bosnien-Herzegowina hat in den letzten Monaten neue Tiefpunkte erreicht; bisweilen ist sogar von einem kriegerischen Staatszerfall die Rede gewesen. Ganz wesentlich hierzu beigetragen hat das Vorgehen des serbischen Mitglieds des dreiköpfigen Staatspräsidiums, Milorad Dodik. Dieser wirbt unermüdlich für die Unabhängigkeit der Republika Srpska (RS), die Opposition in der RS betitelt er als „Verräter“, sofern diese in einem gesamtstaatlichen Sinn agiert, und in Moskau sieht er einen engen Verbündeten. Selbst heute ist seine Treue zu Vladimir Putin ungebrochen, weshalb er im Krieg Russlands gegen die Ukraine vehement für eine neutrale Position Bosnien-Herzegowinas eintritt. Dass die so zentrale Wahlrechtsreform kurz vor dem Scheitern steht – im Herbst stehen Parlamentswahlen an – und der politisch einflussreichste Politiker der bosnisch-herzegowinischen Kroaten, Dragan Čović, mit einem Wahlboykott bzw. der Schaffung einer dritten („kroatischen“) Territorialeinheit liebäugelt, macht die Gesamtsituation nicht einfacher.

Welche Folgen der Krieg in der Ukraine auf Bosnien-Herzegowina haben wird, bleibt abzuwarten. Solidaritätsakte gegenüber den Ukrainern sind auch hier gegeben. Zugleich sind Ängste und Verunsicherungen hinsichtlich der Situation im Land feststellbar; doch diese waren angesichts der durch Dodik hervorgerufenen Krise, die mit der Blockade gesamtstaatlicher Institutionen bei gleichzeitiger (widerrechtlicher) institutioneller Machtübertragungen in die RS hinein einhergingen auch zuvor gegeben. Auffallend ist die Zurückhaltung innerhalb der RS in Bezug auf die politische Beurteilung des russischen Vorgehens, selbst bei offen pro-russischen Organisationen, wenngleich in dortigen Medien durchaus Moskaus Interpretation einer angeblichen „Militäroperation“ Eingang findet. Festgehalten werden kann außerdem, dass EU und die USA dem Land wieder mehr Aufmerksamkeit widmen werden – mit der Ernennung eines Sonderbeauftragen der Bundesregierung für den Westbalkan in Person von Manuel Sarrazin unterstrich Berlin dies gerade. Ein isoliertes Russland wiederum bedeutet für Dodik und seine Partei (SNSD) den Verlust eines einflussreichen Unterstützers. Das Festhalten am Förderer in Moskau birgt damit für Dodik die Gefahr, ins politische Abseits zu geraten, zumal selbst Serbien, in dessen Präsidenten Aleksandar Vučić er einen wichtigen Fürsprecher hat, aus Sicht Dodiks „eingeknickt“ ist und auf der Uno-Vollversammlung vom 2. März den russischen Einmarsch in die Ukraine verurteilt hat.

Was nun? Der Krieg in der Ukraine macht für Bosnien-Herzegowina einmal mehr deutlich, wie verwoben die dortige politische Landschaft mit internationalen Akteuren ist und wie abhängig das Land von diesen ist – zu nennen sind hier weiters die Türkei und China. Es bleibt abzuwarten, ob man mit Blick auf die Geschehnisse in der Ukraine eine gemeinsame politische Sprache finden wird. Die bestehenden politischen Gräben werden nicht verschwinden, doch eine perspektivische Aufwertung Bosnien-Herzegowinas (wie des gesamten „Westbalkans“) in den Augen der EU könnte eine Konsensfindung im Land mit Blick auf Zukunftsfragen stärken und zentrifugale Kräfte schwächen.


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