Aus Rumänisch wird Moldauisch – wie in der UdSSR mit gefinkelter Territorialpolitik und sprachlicher Alchemie eine neue Nation entsteht. Und warum das bis heute die Gefahr von militärischem Eingreifen birgt.

Der Überfall Russlands auf die Ukraine provozierte rasch die Frage, welche ehemalige Sowjetrepublik wohl als nächstes mit einem Einmarsch der russischen Armee zu rechnen habe. Hierbei wurde immer wieder die Republik Moldau genannt, wobei nicht nur auf deren fehlende Mitgliedschaft in EU und NATO verwiesen wurde, sondern auch auf den Dauerkonflikt mit Transnistrien, das sich 1990 unter Mithilfe Moskaus abgespalten und einseitig für unabhängig erklärt hatte. Allerdings lohnt sich eine Betrachtung Transnistriens nicht nur für die aktuelle Situation. Auch historisch ist dieses Territorium höchst interessant, verdankt es seine künstliche Existenz doch Stalins Expansionsplänen im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs.

Im Jahre 1812 wurde das rumänische Fürstentum Moldau geteilt. Die östlich des Pruth gelegenen Landesteile kamen unter russische Oberherrschaft und wurden bald darauf als Bessarabien bezeichnet. Dessen östliche Grenze wiederum wurde durch den Dnister (rum. Nistru) bestimmt. Zu keinem Zeitpunkt reichten die Grenzen der Fürstentums Moldau bzw. Bessarabiens also jenseits des Dnister. Allerdings siedelten auch dort Menschen, deren Muttersprache das Rumänische war, was im Folgenden von großer Bedeutung sein wird.

Im Gefolge der Wirren, die der Zusammenbruch des Zarenreiches mit sich brachte, schloss sich Bessarabien 1918 Rumänien (in dem 1859 die Moldau aufgegangen war) an. Zwar wurde dieser Akt im Pariser Vertrag von 1920 von Frankreich, Großbritannien, Italien und Japan anerkannt, doch wurde Sowjetrussland hieran nicht beteiligt, das in der Folge diese Abspaltung auch nicht anerkannte.[1] Während sich Rumänien um eine Eingliederung Bessarabiens in sein Staatswesen bemühte, machte sich nach dem Tode Lenins Anfang 1924 unter dem wachsenden Einfluss Stalins rasch eine revisionistisch ausgelegte Politik bemerkbar. Hatte Lenin die Parole ausgegeben, dass alle Völker, die Russland verlassen wollten, dies auch tun können,[2] so ging es Stalin um die territoriale Wiederherstellung der Grenzen des russischen Reiches.

Im Falle Bessarabiens wurde nun versucht, territoriale Ansprüche mit einer sprachlich-kulturellen Offensive zu verbinden. Bereits im März 1924 wurde ein zur Ukraine gehörendes Gebiet von ca. 8.100 Quadratkilometern auf dem linken Ufer des Dnister, das eine signifikante, wenn auch nicht mehrheitlich rumänischsprachige Bevölkerung von etwa 545.000 Einwohnern hatte, zu einem autonomen Gebiet (oblast’) erhoben; am 12. Oktober 1924 erfolgte dann die formelle Konstituierung der „Moldauischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik“ (MASSR). Diese entsprach weitgehend demjenigen Gebiet, welches wir heute als Transnistrien kennen. Die Stoßrichtung war dabei von Anfang an klar – zwar wurde der Ort Balta zum Verwaltungssitz erhoben, doch wurde das bessarabische, damals in Rumänien liegende Chișinău als formaler Hauptort angesehen und so auch öffentlich bezeichnet.[3] Mit solchen propagandistischen Manövern wurde nicht nur der territoriale Anspruch auf Bessarabien unterstrichen, sondern die Bessarabienfrage auch in der internationalen wie der rumänischen (Innen-)Politik präsent gehalten. Die UdSSR hatte somit ein künstlich angelegtes Territorium als Sprungbrett für eine Rückeroberung Bessarabiens geschaffen – 1940 war es so weit: als eine Folge des Hitler-Stalin-Paktes nötigte die Sowjetunion (mit deutscher Unterstützung) Rumänien, Bessarabien an die UdSSR abzutreten.

Parallel dazu erfolgte eine kulturelle Offensive mit dem Ziel, aus einer rumänischsprachigen eine moldauischsprachige Bevölkerung zu machen. Dabei beließ man es nicht bei der Förderung der dortigen Volkskultur oder Literatur. Es ging vielmehr um die Etablierung einer eigenständigen „moldauischen Sprache“ mit dem Ziel, auch sprachlich zu einer klaren Distanz zu Rumänien zu gelangen.[4] Es musste gezeigt werden, dass die in Bessarabien gesprochene Varietät kein Dialekt des Rumänischen, sondern eine eigenständige romanische Sprache sei! Auf diese Art sollte der politischen Argumentation für eine Rückkehr Bessarabiens in den Schoß des Sowjetreiches ein kulturelles sowie ein linguistisches Argument hinzugefügt werden, getreu der These Stalins, dass sich Nationen u. a. durch eine gemeinsame – und eben auch eigene – Sprache auszeichnen.[5] Und das sprachliche Exerzierfeld hierfür war die MASSR.

In den knapp 16 Jahren ihrer Existenz machte die MASSR dabei nicht weniger als vier Phasen der planmäßigen Neoethnisierung des moldauischen Rumänisch durch. In der ersten Phase (1924–1928) richtete man sich sprachpolitisch noch an Rumänien aus. Geschrieben wurde mit der Lateinschrift, und abgesehen von einer Betonung phonetischer Besonderheiten sowie dialektaler Wörter und Redewendungen wurde in den Schulen nichts Anderes als Rumänisch unterrichtet. Diese romanophile Tendenz wurde jedoch in der zweiten Phase (1928–1932) massiv bekämpft. Unter dem Einfluss des aus einer bulgarischen Familie aus Bessarabien stammenden Philologen Leonid A. Madan wurde die kyrillische Schrift eingeführt und versucht, das Rumänische von allen westlichen wie auch russischen Einflüssen im Wortschatz zu reinigen – selbst ein Wort wie „plural“ wurde durch ein frisch erfundenes „multuratic“ ersetzt.[6] Madans Einfluss wurde allerdings Anfang 1932 abrupt beendet, sah man doch in Moskau die Gefahr, dass ein allzu unromanisches, nun Moldauisch genanntes Rumänisch aus der MASSR für die Menschen in Bessarabien unverständlich werden würde – und das galt es zu verhindern, wenn man das linguistische Argument nicht ad absurdum führen wollte. So begann eine neue, die dritte Phase (1932–1937). Die Lateinschrift wurde wieder eingeführt. Mehr noch, das Vorbild war nun das Rumänische in Rumänien, nicht einmal mehr lautliche Eigenheiten oder regionaler Wortschatz sollten eine Rolle spielen. Diese Phase wurde allerdings ebenso abrupt beendet, und eine vierte Phase brach an (1937–1951), die ab 1940 – mit kriegsbedingten Unterbrechungen – auch für die nach der Annexion Bessarabiens nunmehr geschaffene Moldauische Sozialistische Sowjetrepublik (MSSR) von Bedeutung war.

Der sowjetrussische Nationalismus brach sich Bahn, und Stalins sprachliche Vorgaben sahen die langsame Hinführung aller anderen Unionssprachen hin zum Russischen vor. Hierzu bediente man sich zweier Techniken, „Aufblühen“ (rascvet) und „Annäherung“ (sbliženie).[7] So erfuhren auch die kleinsten Minderheitensprachen und Dialekte mittels „Aufblühen“ durchaus wohlwollende Förderung, die zugleich die Zahl der Muttersprachler anderer größerer Sprachen reduzierte. Gleichzeitig aber wurde „angenähert“: Insbesondere im Wortschatz wurde systematisch russifiziert und wo immer möglich das kyrillische Alphabet zur Grundlage der Verschriftlichung gemacht. Dies widerfuhr auch dem „Moldauischen“. Beispielsweise wurde in Internationalismen wie „industrie“ die betonte Silbe nicht mehr nach rumänischem, sondern nach russischem Vorbild markiert. Die verwendete Kyrillica allerdings wurde eigens dem rumänischen Lautstand angepasst und stellte eine echte Neuerung dar. Diese so geschaffene Sprachnorm blieb bis zum Untergang der Sowjetunion bestehen.

Die von Seiten der UdSSR postulierte moldauische Sprache wurde allerdings von der unabhängigen, vor allem im Westen ansässigen Sprachwissenschaft nicht als solches anerkannt. Bereits eine Einführung ins Rumänische von 1967[8] schrieb den Begriff in Anführungszeichen, und Klaus Heitmann, der einer der besten Kenner der Sprachenfrage in der MSSR war, lehnte ein eigenständiges moldauisches Idiom mit der Bemerkung ab, man hätte „mit demselben Recht […] das Standarddeutsch der DDR, kyrillisch geschrieben, dem der Bundesrepublik als eigene germanische Sprache gegenüberstellen können.“[9] Nicht viel anders ist das Ergebnis beim Blick in aktuelle Einführungen in die romanischen Sprachen – „das Moldauische, das bei vernünftiger, ideologiefreier Betrachtung identisch ist mit dem Rumänischen, aber in kyrillischem Alphabet“[10] kann man da lesen, oder „Moldauisch (limba moldovenească) – eine neue Sprache?“[11] als Kapitelüberschrift, deren Formulierung als Frage schon die Antwort im Text vorwegnimmt.

Es mutet wie ein böser Treppenwitz an, dass beim Anschluss an die UdSSR 1940 zwar Teile im Norden und Süden Bessarabiens abgetrennt und an die Ukraine gegeben wurden, just das historisch niemals zur Moldau gehörende Transnistrien aber bei der MSSR verbleiben sollte. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR wurde auch die MSSR unabhängig und rief sich unter dem Namen Republik Moldau als selbständiger Staat aus. Kurze Zeit später sollte sich Transnistrien wiederum abspalten und fortan als international nicht anerkannter Staat bestehen, ein Konflikt, der bis heute einer Lösung harrt. Da aber die Mehrheit in jenem Pseudostaat von Moskau als Russen gesehen wird, mag Transnistrien erneut als Sprungbrett für eine mögliche Intervention in der Republik Moldau dienen.


[1] Wilhelmus Petrus van Meurs, The Bessarabian Question in Communist Historiography. Nationalist and Communist Politics and History-Writing. Boulder/CO 1994, 72–74.

[2] Georg von Rauch, Geschichte der baltischen Staaten. München 31990, 79f.

[3] Van Meurs, The Bessarabian Question, 79.

[4] Klaus Heitmann, Rumänische Sprache und Literatur in Bessarabien und Transnistrien. Die sogenannte moldauische Sprache und Literatur, Zeitschrift für romanische Philologie 81 (1965), H. 1–2, 102–156, 110.

[5] Charles King, The Moldovans. Romania, Russia, and the Politics of Culture. Stanford/CA 2000, 64.

[6] Heitmann, Rumänische Sprache und Literatur, 111.

[7] Georg Bossong, Die romanischen Sprachen. Eine vergleichende Einführung. Hamburg 2008, 253.

[8] Klaus-Hennig Schroeder, Einführung in das Studium des Rumänischen. Sprachwissenschaft und Literaturgeschichte. Berlin 1967, 51.

[9] Klaus Heitmann, Sprache und Nation in der Republik Moldova, in: Wilfried Potthoff (Hg.), Konfliktregion Südosteuropa. Vergangenheit und Perspektiven. München 1997, 79–105, 82.

[10] Bossong, Die romanischen Sprachen, 254.

[11] Wolfgang Pöckl / Franz Rainer / Bernhard Pöll, Einführung in die romanische Sprachwissenschaft. Berlin, Boston/MA 52013, 60.


Beitragsbild: USSR Post, The Soviet Union 1974 CPA 4385 stamp (Moldavian Soviet Socialist Republic (Established on 1924.10.12)), als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons